26. November 2007

Müll für die Sinne (II)

Boston Underground
Über das gelungene MUNY-Programm (Music under New York) der New Yorker U-Bahn-Betreiber habe ich an anderer Stelle bereits berichtet. Neben dem schrillen Quietschen und den unverständlichen Lautsprecherdurchsagen trägt die live vorgetragene Musik ihren Teil zum typischen Flair der Subway in NYC bei. Zwar ist manche Drum Session ohrenbetäubend laut, auch gehen einige Feinheiten des Bachschen Konzerts für zwei Violinen im Getackere der Bahnen unter, aber es sind meist Locals, Leute aus der Stadt, die sich hier mit oft hörenswerter Musik ein paar Dollar verdienen möchten. Das ist sympatisch warum macht man das nicht auch bei uns?

Oder in Boston? Nun, das Motto Besser gut abgekupfert, als
schlecht selber gemacht hat die Bostoner U-Bahn-Gesellschaft sich wohl nicht auf ihre Wagen geschrieben. Die MTBA (Massachusetts Bay Transportation Authority) spendierte ihren Kunden im Oktober an drei U-Bahn-Stationen versuchsweise ein Radioprogramm aus kurzen Nachrichten und hipper Musik. Die Dauerberieselung kam nicht an und schon nach kurzer Zeit kehrte naja, keine Ruhe ein, aber die zusätzliche Beschallung wurde abgestellt.

Mich wundert das nicht, denn wenn der Eindruck, den das ausführende Unternehmen Pyramid Radio Inc. auf seinen Webseiten hinterlässt, auch nur annähernd in der Bostoner U-Bahn umgesetzt wurde, dann muss es sich um ein stetiges akustisches Flackern und Klacken gehandelt haben. Medialer Müll für die mediale Metropole ...

The dumber you are the better they like it!!Es ist ein gutes Zeichen, dass sich zumindest in diesem Fall die Schafherde gegen die Wölfe durchgesetzt hat. In einer vom Kommerz regierten Zeit ist das nicht selbstverständlich. Pyramid Radio Inc. lässt auf seinen Webseiten ja schliesslich auch keinen Zweifel daran, worum es ihnen geht: Den Kunden beeinflussen, bevor er an die Kasse kommt.

Gut gemäht, ihr Bostoner Schafe!

Müll für die Sinne (I)

Vor der Haustür
Blecka. Das sind Haken von IKEA. Deshalb wird BLECKA gross geschrieben – wie alles bei IKEA. Kein schöner Name, aber immerhin nicht so abstossend wie VIREN für eine WC-Bürste.

Vier Stück BLECKA für knapp fünf Euro sind ein gutes Angebot. Was fehlt, sind die Schrauben. Nein, ich greine nicht über die zusätzlichen Kosten eines Baumarktbesuchs (der die Einsparungen bei IKEA wieder zunichte macht). Ein Baumarkt moderner Prägung bietet mir neben passenden Schrauben zu BLECKA schliesslich völlig kostenlos einen Mehrwert: Ich kann dort etwas für mein anarchistisches Seelenheil tun.

Don't Honk
Wird man in Kaufhäusern und Supermärkten
systematisch beplätschert mit belangloser Fahrstuhlmusik (englisch: Muzak, interessante Hintergründe dazu), die verständige Kunden zu willenlosen Kaufrobotern umformen soll, so haben Baumärkte einen viel höheren Anspruch: Wertvolle Produktinformationen sprudeln aus kleinen Informationsgeräten an jeder Regalecke.

Der innovative Spachtel für runde Ecken, der Tapetenschneider aus der Weltraumtechnik, der Pinsel ohne Borsten – all das (und viel mehr) wird rund um die Uhr mit beeindruckenden Bildern und eindringlichen Worten präsentiert. Meint es der Marketingleiter es besonders gut, dann stellt er zwei dieser Geräte nah beieinander auf, so dass der wissbegierige Kunde Informationen über zwei Produkte gleichzeitig aufnehmen kann. Für wie dämlich halten uns diese Verkaufskanonen eigentlich? Es ist zum verrückt werden!

Ich habe dieser Form von akustischer Umweltverschmutzung den kleinen und gemeinen Kampf angesagt: Ich drehe ab. Wann immer ich mich unbeobachtet fühle, suche ich Lautstärkeregler oder Ausknopf und geniesse die Ruhe nach der erfolgreichen Attacke. Bis zum nächsten Regal.

Aber es ist auch ein wenig wie bei der Geschichte von Hase und Igel: Früher waren es meist einfache Fernsehgeräte, die Ihren audio-visuellen Müll in die Gänge schickten. Die Bedienelemente lagen vorne und gut im Zugriff für Rebellen wie mich. Ein Tastendruck und Ruhe war ...

Doch der Gegner schläft nicht: Immer ausgetüftelter werden die Methoden, um die Dauerberieselung durch Werbebotschaften zu sichern.
Der Auftrag lautet schliesslich: Hämmert die Botschaft in die Köpfe der willenlosen Kundschaft. Also sind heute Lautstärkeregler schon mal unter einer Blende versteckt, der Ausknopf liegt kaum erreichbar hinten am Gerät – die Herausforderungen für Anarchos wie mich werden grösser. Auch gegen meine neuste TaktikStecker ziehen – hat man teilweise schon Vorkehrungen getroffen. Der Strom in unser Käuferbewusstsein soll ungehindert fliessen.

Neulich sah ich
neben einem Werbeautomaten für den perfekten Bohrschrauber diese wunderbaren, isolierten Kneifzangen im Regal liegen ...

1. Oktober 2007

Fotografieren, Malen, Schreiben

Chrysler Building oder: Mein falscher Weg
Chrysler BuildingIch bin ein wenig stolz: Mein Foto Chrysler Building hat es auf die erste Seite bei Google geschafft. Sucht man dort nach Fotos des Gebäudes, dann wird es auf Rang 18 gelistet bei einer Gesamtzahl von circa 75.200 im Internet gefundenen Abbildungen zu dem Sujet.

Vier Plätze vor mir fiel mir eine hübsche Collage auf.
Die Dortmunder Galerie Zimmermann & Heitmann zeigt ebenfalls das berühmte Gebäude hier allerdings in einer Kombination aus Siebdruck und Malerei, erstellt vom Maler Jörg Döring.

Seine interessanten Werke veranlassten mich, etwas weiter zu klicken, und so landete ich auf seiner Biografie ...

Maler! Ich hätte Maler werden sollen. Wozu zappele ich mir einen ab, arbeite an einer akzeptablen und lesbaren Schreibe, schlage auch schon mal etwas bei leo nach wenn das alles auch viel einfacher geht? Als Maler hätte mir bestimmt jeder den schlampigen Umgang mit der Sprache verziehen. Malerei ist — im Gegensatz zu meinem Berufsfeld grosse Kunst. Und Künstler dürfen schlampen ...

Er gibt sich international: Die englischen Brocken in seiner deutschen Biografie sind wahrscheinlich cool. Der Maler Döring wurde "born in the wild 60th" lese ich. Ouch! Das th gibt bei unvorsichtiger Aussprache Flecken auf dem Bildschirm
und das ist völlig überflüssig! Die Sechzigste Strasse schreibt man in Städten wie New York City 60th St aber die Zeitangabe "in den wilden Sechzigern" sollte dann doch als Sixties, von mir aus auch als 60ies gepinselt werden.

Der Künstler glänzt glücklicherweise nicht mit Halbwissen, sondern beeindruckt mit Viertelenglisch. "Thanks god" meint er plump vertraulich zu dem mystischen Wesen im Himmel. Danke, Gott. Aber halt: Da fehlt im Original ein Komma zwischen dem Dank und dem Angesprochenen. Anstatt guter Beziehungen zum Schöpfer hat der Schreiber vielleicht nur eine Sprachschwäche? "Thank God" im Sinne von "Gott sei Dank" (mit einem respektvoll grossgeschriebenen Gott) ist ein häufig verwendeter Ausdruck im Englischen. Und wenn man sich etwas Mühe macht, dann sollte man das als Kosmopolit (denn so gibt sich unser Protagonist) auch wissen.

Wenn die Grenze zwischen der deutschen und der englischen Sprache dann so verschwimmt, wie in "Lokal Hero sein reicht nicht mehr", dann ist das sicher künstlerische Freiheit
oder die Folge zu vieler Lokalbesuche beim Schreiben. Um beides beneide ich den Maler.

Doch auch in seiner deutschen Sprache ist der künstlerische Drang zu spüren: "Hinterhof, Treppe rauf, Groß, naß, kalt, leer aber billig." War das hier beschriebene Atelier tatsächlich so gross, dass man "Groß" gross schreiben muss? Und waren die grossen Bilder so klein, dass man sie besser klein schreibt: "Ein paar große gingen dann doch noch gut weg."?

Ach, was krittele ich so beckmesserisch rum, Fehler machen wir doch alle
und ich bestimmt auch hier im Blog! Ob das aber in einer im Internet veröffentlichten Biografie sein muss? Nun, wahrscheinlich ist es der Trend, anderen Menschen solche Art der Mitteilungen zuzumuten: Dick and quirky eben, um im hingeschluderten Stil des Ganzen zu bleiben. Es wird schon gut sein. Ein weiteres Fundstück aus dem Text beschreibt eine sicher bei vielen Menschen anzutreffende Einstellung: Macht doch "nicht's".

Ich fahre jetzt jedenfalls zum boesner und kaufe Farbe.

[Die hier verwendeten Zitate sind zu finden bei:
Jörg Döring, Eine Biographie, 1. Versuch]

12. September 2007

Venedig

Tod in der Brieftasche
Gran Caffè FlorianEs ist schon ein besonderes Gefühl, wenn man die Rechnung im venezianischen Caffè Florian bekommt. Nicht viel anders ist es bei den anderen Etablissements an Piazza oder Piazzetta San Marco: Auch Lavena, Quadri und Chioggia lassen sich nicht lumpen, wenn es um die Abrechnung geht. Spätestens nach dem Besuch hat man das Gefühl, dass man Touristennepp bester Qualität aufgesessen ist: Im Gegensatz zu den überteuerten Scheusslichkeiten an den Souvenirständen auf den mit Taubenkot übersäten Plätzen, kann sich bei den Gran Caffès zumindest das Gefühl kurzzeitigen Vergnügens einstellen. Schlecht ist der Caffè nicht und die teils überhebliche Schnöseligkeit der schicken Ober zu geniessen hat auch ihren Wert.

Für eine einfache Erfrischung muss man in etwa mit Folgendem rechnen:


Caffè: 5,00 Euro
Wasser: 5,00 Euro (0,25l)


Das ist bei dem kleinen Espresso-Kaffee mit einem hochgerechneten Literpreis von circa 200 Euro der reinste Luxus. Übertroffen wird das natürlich von einem Glas Champagner (26 Euro) oder Brunello (20,50 Euro). Vergleichweise günstig ist es, wenn die Kinder nach Eis (ab 10 Euro) und Cola (7 bis 8 Euro) verlangen. Eine Kreditkarte sollte man in jedem Fall besser dabei haben.

Findet man auf der Rechnung einen Aufschlag von fünf Euro pro Person, dann wurden während des Aufenthalts im Gran Caffè möglicherweise ungeliebte Ohrwürmer ungefragt zum Besten gegeben. Alle der grossen Kaffeehäuser leisten sich so eine bieder gekleidete Hauskapelle. Das umherstehende (und nicht zahlende) Publikum versucht mit Begeisterung, den Takt zu klatschen wie in Karl Moiks Musikantenstadl. Das schafft keine beschauliche Atmosphäre zum Genuss des kleinen, starken Schwarzen. Wenigstens hat man zu Hause eine Geschichte zu erzählen. Doch ist man deshalb nach Venedig gereist?

Das Preisniveau der Serinissima ist tatsächlich an vielen Stellen fürstlich durchlaucht. Die kleinen, liebenswerten Oasen zu finden ist nicht einfach in dieser Stadt, wenn man sich in den üblichen zwei bis drei Tagen nur an den vermeintlich unabdingbaren Plätzen aus den billigen Reiseführern herumtreibt. Aber natürlich gibt es diese Oasen, denn auch in Venedig leben ganz normale Menschen, ohne Adelsstatus oder zusätzliches Bestechungseinkommen. Und die lassen die Florians, Lavenas, Quadris oder Chioggias schlicht links liegen. Auch kämen sie nie auf die unpraktische Idee, eine Gondel zu benutzen.

Spritz bei Al MercàDiese Venezianer trifft man beispielsweise ...

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20. August 2007

Salton Sea

Das Ende eines amerikanischen Traums
NYC Subway 1979Es ist eine unbekannte Geschichte. Sogar viele Einheimische kennen sie nicht. Und manche wollen sie wahrscheinlich gar nicht kennen, denn sie ist kein Ruhmesblatt für unsere Zivilisation. Frage ich Bewohner Kaliforniens nach dem grössten See ihres Landes, dann werden meist Lake Tahoe, Clear Lake oder Mono Lake genannt. Keines dieser Gewässer hat aber auch nur annähernd die Ausdehnung des Sees, um den es hier gehen soll: Der Salton Sea.

Der Salton Sea zeigt uns heute einen höchst seltsamen Ausschnitt aus seiner gerade mal 100-jährigen Geschichte. Er erlebte Blütezeiten und Katastrophen
und so recht erklären, warum das alles so gekommen ist, kann heute niemand überzeugend. Es gibt Versuche, aber je nach Interessenlage fallen diese recht unterschiedlich aus. Allerdings gibt es ein paar unbestrittene Fakten ...

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[mit freundlicher Unterstützung von GOfotoX]

16. August 2007

NYC Subway: Karriere

Abgefahren, aufwärts
Die New Yorker Untergrundbahn bringt nicht nur ihre Fahrgäste weiter. Manchmal befördert sie auch eine Karriere.

Musik in einer Subway Station — das ist in Manhattan nichts Ungewöhnliches. Meist wird dort sogar legal aufgespielt, denn die Verkehrsbetriebe MTA (Metropolitain Transportation Authority) haben vor Jahren ein Programm aufgesetzt, das Künstler in den Untergrund lockt. Wer für MUNY — das steht für Music under New York — spielt, der hat es in New York, NY zwar noch nicht geschafft, doch zumindest schon mal ein aussergewöhnliches Publikum an oft exponierten Plätzen.

MUNYSicher gibt es für einen filigranen Violinisten ein grösseres Vergnügen, als unter der 42. Strasse gegen das Quietschen der gerade einlaufenden Linie S anzuspielen. Andererseits wird auch nicht jedem die Gelegenheit dazu gegeben: Für interessierte Musiker gibt es jeden Frühling ein Vorspielen im Grand Central Terminal. Und wer dort durchkommt, dem kann es ergehen wie Singer/Songwriter Susan Cagle: Eines Tages wurde sie dort ganz unten entdeckt
— und sie ist auf dem Weg nach ganz oben.

Ihr erstes Album The Subway Recordings wurde tatsächlich an den Originalschauplätzen der Subway-Stationen Times Square und Grand Central aufgenommen. Züge reiben sich hörbar an den Gleisen,
Menschen gehen vorbei, manche bleiben stehen. Immerhin so viele, dass sie 30.000 unterirdische CDs verkauft hat.

Der solide Mainstream Rock/Pop von Susan Cagle ist bisher sicher nicht weltbewegend, aber er hat sie von den zugigen Bahnhöfen bis in die Oprah Winfrey Show gebracht
zusammen mit der für solche Talkshows notwendigen schmalzigen Geschichte.

Ob die Violinisten ähnliches Glück hatten?

14. August 2007

NYC Subway: Festgehalten

Hold on
NYC Subway 1979Nein, ich hätte nicht gedacht, dass ich fast dreissig Jahre später dieses alte Bild herauskramen würde. Sie fragen, was daran bemerkenswert ist? Halten Sie sich fest ...

Die klappbaren Metallgriffe an der Decke der New Yorker U-Bahn sind verschwunden. Irgendwann 2005/2006 wurden die letzten der alten roten Wagen ausgemustert, in denen diese Grab Holds noch von oben herab hingen. Die Subway-Enthusiasten heulten Krokodilstränen ob des Verlustes — die Pendler freuten sich über modernere Waggons.

Für alle Sammler vergangener Zeiten gibt es die Haltegriffe im New York Transit Museum Store online zu kaufen. Allerdings wird nur innerhalb der USA verschickt
— Sie müssen sich also wohl schon nach NYC und dort nach Brooklyn Heights begeben, um diesen guten Griff zu machen.