5. März 2008

Steuern in NYC

Memory Lane: KindheitsträumeKinderkarussel
Erinnern Sie sich? Damals auf dem Rummelplatz
wie das bei uns im Norden hiess als kleiner Steppke auf dem Karussel? Da gab es rote Feuerwehrautos, schnittige Polizeiwagen, schicke Limousinen, futuristische Raumgleiter und alle hatten etwas Besonderes: Jeder Sitzplatz hatte sein eigenes Steuer.

Nun ist Ihnen wir mir als damals vielleicht vierjährigem Kind diese
recht untypische Ausstattung für ein Kraftfahrzeug (bei Raumgleitern weiss man das ja nicht so genau) mit zwei oder mehr Lenkrädern vermutlich nicht weiter aufgefallen. Darauf kam es aber auch nicht an, denn der Nutzen war höher als der puristische Gedanke. Bloss Beifahrer wollten Sie und ich nicht sein. Selber Lenken war angesagt — stolz und manchmal wild und vor allem in alle Richtungen ...

Einige Jahrzehnte später: Nur noch bei einem Spaziergang auf der Memory Lane also wenn ich mir alte Fotos ansah dachte ich in meinem weiteren Leben an dieses bemerkenswerte, mindestens doppelte Detail, das Kinderherzen höher schlagen liess und bestimmt immer noch lässt (so schnell ändern sich manche Dinge nicht). Nie hätte ich damit gerechnet, auf etwas Ähnliches im richtigen Leben zu stossen. Und doch gibt es das ...

(Ver)läuft man (sich) in New York City abseits der Touristenpfade, dann kann man immer wieder auf erstaunliche Dinge treffen. An der Ecke von 30th St. und 10th Ave. steht man unter den Resten einer alten Bahnlinie: Auf der High Line fuhren seit Anfang der 30er Jahre für fünf Jahrzehnte Frachtzüge. Für die glücklicherweise nicht in NYC stattfindenden Olympischen Spiele 2012 sollte hier, mitten in Manhattan, ein riesiges Stadion entstehen. Nun versucht man statt dessen, die alte Bahnlinie
zu erhalten, und dieses Relikt aus Stahl und Holz in einen Park umzuwandeln. Zukunftsträume, die wohl bald wahr werden, und die noch wohltuend untouristische Gegend aufpolieren sollen ...

Wir wollten ja aber eher einen Ausflug in die Vergangenheit machen, als in die Zukunft zu blicken. Also weiter: Gehen Sie unter der auch als
El (für Elevated) bezeichneten Bahnstrecke in Richtung Hudson River, dann werden Sie zumindest heute noch auf abgestellte Müllwagen der New Yorker Stadtreinigung treffen. Und da sind wir am Ziel unserer sentimentalen Reise.

New York City, Sanitation TruckEin Blick in ein Fahrerhaus dieser Monstren lässt längst vergessene Kinderträume aufleben: Jedes Fahrzeug hat zwei Sitze und zwei Steuerräder!

Wenn Sie von dieser unverhofften Entdeckung hingerissen sein sollten, dann
erfüllen Sie sich diesen Traum doch einfach: Das Department of Citywide Administrative Services (DCAS) veranstaltet alle paar Wochen Auktionen, in denen unter anderem alte Fahrzeuge aus dem städtischen Fuhrpark versteigert werden. Dort gibt's — neben anderen interessanten Fundstücken öfter auch einen dieser ausrangierten Müllwagen im Angebot. Also: Einfach einmal ein paar Tage vor einer Auktion reinschauen und etwas Passendes für die grossen Kinderträume aussuchen ...

Vielleicht ist so ein Müllwagen aber auch ein gutes Geschenk für jemanden, den Sie nicht riechen können?

26. November 2007

Müll für die Sinne (II)

Boston Underground
Über das gelungene MUNY-Programm (Music under New York) der New Yorker U-Bahn-Betreiber habe ich an anderer Stelle bereits berichtet. Neben dem schrillen Quietschen und den unverständlichen Lautsprecherdurchsagen trägt die live vorgetragene Musik ihren Teil zum typischen Flair der Subway in NYC bei. Zwar ist manche Drum Session ohrenbetäubend laut, auch gehen einige Feinheiten des Bachschen Konzerts für zwei Violinen im Getackere der Bahnen unter, aber es sind meist Locals, Leute aus der Stadt, die sich hier mit oft hörenswerter Musik ein paar Dollar verdienen möchten. Das ist sympatisch warum macht man das nicht auch bei uns?

Oder in Boston? Nun, das Motto Besser gut abgekupfert, als
schlecht selber gemacht hat die Bostoner U-Bahn-Gesellschaft sich wohl nicht auf ihre Wagen geschrieben. Die MTBA (Massachusetts Bay Transportation Authority) spendierte ihren Kunden im Oktober an drei U-Bahn-Stationen versuchsweise ein Radioprogramm aus kurzen Nachrichten und hipper Musik. Die Dauerberieselung kam nicht an und schon nach kurzer Zeit kehrte naja, keine Ruhe ein, aber die zusätzliche Beschallung wurde abgestellt.

Mich wundert das nicht, denn wenn der Eindruck, den das ausführende Unternehmen Pyramid Radio Inc. auf seinen Webseiten hinterlässt, auch nur annähernd in der Bostoner U-Bahn umgesetzt wurde, dann muss es sich um ein stetiges akustisches Flackern und Klacken gehandelt haben. Medialer Müll für die mediale Metropole ...

The dumber you are the better they like it!!Es ist ein gutes Zeichen, dass sich zumindest in diesem Fall die Schafherde gegen die Wölfe durchgesetzt hat. In einer vom Kommerz regierten Zeit ist das nicht selbstverständlich. Pyramid Radio Inc. lässt auf seinen Webseiten ja schliesslich auch keinen Zweifel daran, worum es ihnen geht: Den Kunden beeinflussen, bevor er an die Kasse kommt.

Gut gemäht, ihr Bostoner Schafe!

Müll für die Sinne (I)

Vor der Haustür
Blecka. Das sind Haken von IKEA. Deshalb wird BLECKA gross geschrieben – wie alles bei IKEA. Kein schöner Name, aber immerhin nicht so abstossend wie VIREN für eine WC-Bürste.

Vier Stück BLECKA für knapp fünf Euro sind ein gutes Angebot. Was fehlt, sind die Schrauben. Nein, ich greine nicht über die zusätzlichen Kosten eines Baumarktbesuchs (der die Einsparungen bei IKEA wieder zunichte macht). Ein Baumarkt moderner Prägung bietet mir neben passenden Schrauben zu BLECKA schliesslich völlig kostenlos einen Mehrwert: Ich kann dort etwas für mein anarchistisches Seelenheil tun.

Don't Honk
Wird man in Kaufhäusern und Supermärkten
systematisch beplätschert mit belangloser Fahrstuhlmusik (englisch: Muzak, interessante Hintergründe dazu), die verständige Kunden zu willenlosen Kaufrobotern umformen soll, so haben Baumärkte einen viel höheren Anspruch: Wertvolle Produktinformationen sprudeln aus kleinen Informationsgeräten an jeder Regalecke.

Der innovative Spachtel für runde Ecken, der Tapetenschneider aus der Weltraumtechnik, der Pinsel ohne Borsten – all das (und viel mehr) wird rund um die Uhr mit beeindruckenden Bildern und eindringlichen Worten präsentiert. Meint es der Marketingleiter es besonders gut, dann stellt er zwei dieser Geräte nah beieinander auf, so dass der wissbegierige Kunde Informationen über zwei Produkte gleichzeitig aufnehmen kann. Für wie dämlich halten uns diese Verkaufskanonen eigentlich? Es ist zum verrückt werden!

Ich habe dieser Form von akustischer Umweltverschmutzung den kleinen und gemeinen Kampf angesagt: Ich drehe ab. Wann immer ich mich unbeobachtet fühle, suche ich Lautstärkeregler oder Ausknopf und geniesse die Ruhe nach der erfolgreichen Attacke. Bis zum nächsten Regal.

Aber es ist auch ein wenig wie bei der Geschichte von Hase und Igel: Früher waren es meist einfache Fernsehgeräte, die Ihren audio-visuellen Müll in die Gänge schickten. Die Bedienelemente lagen vorne und gut im Zugriff für Rebellen wie mich. Ein Tastendruck und Ruhe war ...

Doch der Gegner schläft nicht: Immer ausgetüftelter werden die Methoden, um die Dauerberieselung durch Werbebotschaften zu sichern.
Der Auftrag lautet schliesslich: Hämmert die Botschaft in die Köpfe der willenlosen Kundschaft. Also sind heute Lautstärkeregler schon mal unter einer Blende versteckt, der Ausknopf liegt kaum erreichbar hinten am Gerät – die Herausforderungen für Anarchos wie mich werden grösser. Auch gegen meine neuste TaktikStecker ziehen – hat man teilweise schon Vorkehrungen getroffen. Der Strom in unser Käuferbewusstsein soll ungehindert fliessen.

Neulich sah ich
neben einem Werbeautomaten für den perfekten Bohrschrauber diese wunderbaren, isolierten Kneifzangen im Regal liegen ...